Bierpersönlichkeiten
Conrad Seidl
Bierpersönlichkeiten - Conrad Seidl
Wir haben die Ehre mit Conrad Seidl, dem Bierpapst, ein Interview führen zu dürfen. Getroffen haben wir Conrad bereits zum ersten Mal an der Braubeviale und schon hier war klar, dieser Persönlichkeit wollen wir unbedingt mal ein paar Fragen stellen. Conrad gilt als erster Journalist, der sich mit Bier befasst hat. Darum kennt er das Bierbrauen besser als manch einer seine Westentasche. Craftbier ist ein Steckenpferd seines Wissens, genauso wie die Geschichten hinter den Bierstilen. Sein Fachwissen ist so immens, dass wir das hier gar nicht abbilden könnten, aber dafür haben wir ihn mal ein paar Fragen gefragt, die man bei Wikipedia nicht so einfach nachlesen kann.
Conrad, wie bist Du zum Bier gekommen? Erzähl uns doch mal ein wenig über Dein Leben vor dem Bier und mit dem Bier.
Meine erste Begegnung mit dem Thema Bier und Brauerei war im Jahr 1967 – damals war ich mit meinen Eltern auf Urlaub in der Nähe von Zipf. Die dortige Brauerei hatte damals noch nicht den heutigen Ausstoß von einer Million Hektolitern und war auch noch keine Konzernbrauerei – aber sie hat mit dem Zipfer Urtyp den ersten modernen, schlanken Typus auf den österreichischen Markt gebracht, was dann später stilprägend für Premiumbiere geworden ist. Natürlich habe ich da noch nicht viel kosten können, weil ich ja erst neun Jahre alt war. Aber das war meine erste Begegnung mit Bier – und ich habe mich seither immer für Bier und Brauereien interessiert.
Was hat Dich dazu gebracht, von einem politischen Journalisten, zu einem Bier-Journalisten zu wechseln?
Ehrlich gesagt: Wenn Du den ganzen Tag über Politik schreibst, dann brauchst Du nachher ein Bier. Oder auch zwei. Und noch etwas ganz Persönliches: Ich mag keine Heißgetränke – aber wenn Du ein Politik-Journalist bist, wollen alle möglichen Pressesprecher, Lobbyisten und natürlich auch Politiker mit Dir auf einen Kaffee gehen. Das ist in Wien so üblich, wobei interessanterweise fast alle ins Café Landtmann, eines der großen Wiener Kaffeehäuser, gehen, wo die ganze Stadt weiß, wer wen getroffen hat. Ich habe meine Gesprächspartner dann immer diskret in ein nahes Bierlokal umgeleitet – und die meisten wollten dann auch ein Bier trinken, was umgekehrt für ein lockereres Gesprächsklima sorgt. Dort habe ich ein bisschen über das Bier erzählt, das dort ausgeschenkt worden ist – einem Bier aus Weitra, der ältesten Braustadt Österreichs, in deren Stadtrecht von 1321 das Bürgerrecht auf Bierbrauerei und Bierausschank festgeschrieben war. Und ich habe gemerkt, dass meine Gesprächspartner solche Geschichten interessieren. Der Rest ist journalistisches Handwerk: Mehr Geschichten über mehr Brauereien und mehr Biere und alle möglichen Hintergründe recherchieren.
Was zieht Dich an Bier so an und woraus ziehst Du Deine Inspiration und Motivation für Deine Geschichten?
In den 1980er Jahren habe ich begonnen, eine Geschichte über Bier zu schreiben. Ich bin noch nicht fertig damit und ich werde auch nie fertig werden damit – denn es gibt ja immer mehr zu entdecken und mehr zu erzählen. Auch: mehr zu kritisieren, denn natürlich ist nicht alles gut, was gebraut wird, nicht alles gut, wie ausgeschenkt wird und auch die Unternehmenspolitik mancher Hersteller muss man hinterfragen. Ein Journalist ist ja immer glücklich, wenn er ein Manuskript fertig hat – und er weiß, dass gleich das nächste darauf wartet, begonnen zu werden.
Deine Bücher sind so voller Informationen, woher bekommst du diese und wie recherchierst Du dafür? Bei Brauereien und alten Braumeistern oder in alten Büchern?
Ich habe einmal einer Kollegin, die mir diese Frage schon einmal gestellt hat, flapsig geantwortet: Man muss sehr viel trinken. Das hat die dann gleich als Titel ihres Interviews genommen. Aber natürlich ist das nur ein Teil der Wahrheit. Ein anderer ist, dass ich sehr viel reise, sehr viele Brauereien, sehr viele Bierlokale und sehr viele Bibliotheken und Antiquariate aufsuche. Ich habe eine sehr große Handbibliothek daheim – und die Handynummern von vielen Braumeistern, die ich um ihre Einschätzungen oder auch ihre Erinnerungen fragen kann.
Wie sieht Dein Alltag aus?
In Wirklichkeit nicht viel anders als der meiner Journalistenkolleginnen und Kollegen – vielleicht mit dem Unterschied, dass ich nicht rauche und keinen Kaffee trinke. Ich lese in der Früh die Zeitung, checke die wichtigsten Mails und die wichtigsten Nachrichtenportale. Dann gehe ich in die Redaktion und mache meinen Job als politischer Redakteur und Kommentator, seit 30 Jahren quasi als „bürgerliches Gewissen“ in einer linksliberalen Tageszeitung. Und nach Redaktionsschluss widme ich mich dem Bierthema. Das führt dann zu sehr langen Arbeitszeiten – aber es sind unterschiedliche Themen und daher auch unterschiedliche Arbeitsbelastungen. Wenn man so will, entspanne ich mich beim Biertesten von der Politik und beim politischen Kommentieren von den sensorischen Anstrengungen beim Biertesten.
Ist Craftbeer auch ein Trend für Dich oder eher wie wir sagen würden eine neue Einstellung zum Bier?
Craftbier ist zunächst einmal der gelungene Versuch, das Bier und die Menschen dahinter zu thematisieren. Das funktioniert ja auch in anderen Bereichen gut, sei es bei den Chocolatiers oder den Käseaffineuren, wir sehen es bei kleinen Nudel- oder besser wohl: Pasta-Herstellern, wir sehen es bei allerlei Gewürzsaucen oder auch bei Weinen, Edelbränden oder Ciders. Dieses „small is beautiful“ kenne ich seit den frühen 1970er Jahren. Bei Bier ist das ja eher spät gekommen, weil bei uns im deutschen Sprachraum immer gutes Bier verfügbar war – da hat der Markt nicht so dringend nach Alternativen gerufen, weil es ja speziell in vielen Teilen Deutschlands bis in die 1990er Jahre noch viele überlebende Klein- und Mittelstandsbrauereien gegeben hat. Die haben leider viel zu wenig aus sich gemacht, auch wenn ich ihnen dringend geraten habe, doch geschmacksintensive Biere zu brauen und sich dazu zu bekennen. Deutschland hat ja doch etliche Bierstile, um die man es nur beneiden kann – von der Berliner Weisse über Altbiere, German Porter bis hin zu allen möglichen Varianten von Bockbieren. Aber da haben die die alteingesessenen Brauer leider viel zu oft gesagt, dass „das sich nicht verkauft“ – anstatt dass sie gelernt hätten, aktiv zu verkaufen. Und man sieht ja in Amerika, wo die Craftbier-Bewegung – eben weil es vor 40 Jahren dort wenig intensiv schmeckende Biere gegeben hat – früher als in Europa begonnen hat, dass es da zu einer beachtlichen Professionalisierung kommt. Entscheidend wird sein, wie gut es den kleinen Brauereien gelingt, ihre Biere im Getränkehandel durchzusetzen. Auch da kann man in Amerika beobachten, dass da die Großkonzerne bemüht sind, den Marktzugang für Craftbrauerein zu erschweren. Für mich gilt daher: Wer etwas über die Zukunft des Bieres lernen will, muss hinaus in die Welt.
Hast Du schonmal selbst gebraut? Und wenn ja wie war das für Dich?
Nein, das ist nicht mein Fach. Als Journalist sage ich: Der Opernkritiker soll beobachten und beschreiben, wie der Tenor gesungen hat – aber er soll sich um Himmelswillen nicht auf die Bühne stellen und selbst singen. Ebenso soll der Bierjournalist über Bier und Brauereien schreiben, aber nicht selbst brauen.
Das wirst Du bestimmt oft gefragt, aber was ist Dein Lieblingsbier? Gibt es das überhaupt?
Eigentlich freue ich mich immer auf das nächste Bier, das ist dann mein Lieblingsbier. Und was ich persönlich mag, hängt von der Tagesverfassung und dem Angebot ab: Generell mag ich wirklich bittere Biere, aber wenn ich ein schönes saures Bier angeboten bekomme, werde ich an manchen Tagen dieses saure Bier vorziehen. Und ein gutes bayrisches Helles ist für mich ebenso toll wie ein gutes Pale Ale – auch wenn das ganz unterschiedliche Bierstile sind.
Du leitest Bierdinners, gibst Bierseminare und Verkostungen und bist als Juror tätig. Wie bist Du zu all den Aufgaben gekommen? Oder kamen die Aufgaben zu Dir?
Vieles davon habe ich in bei meinen zahlreichen Auslandsreisen kennengelernt und lange bevor überhaupt eine Biersommelier-Ausbildung eingeführt worden ist, für den deutschen Sprachraum aufbereitet. Jetzt sind viele dieser Dinge zu Selbstläufern geworden.
Was macht für Dich ein perfektes Tasting aus?
Perfekt ist es dann, wenn es gute Biere gibt – und Leute, die sich wirklich für das Biererlebnis interessieren, also auch bereit sind, sich auf ein geschmackliches Abenteuer einzulassen. Es ist dann Geschmackssache, ob man lieber einen Rundgang durch die Bierstile macht oder lieber ein Land, eine Brauerei oder einen speziellen Bierstil hervorheben will. Und natürlich macht es einen Unterschied, ob man das eher genussorientiert oder eher zur Weiterbildung macht, ob man sich lieber auf die Biere selbst oder lieber auf die Kombinationen bei einem Beer&Food-Pairing konzentrieren will. Jeder dieser Zugänge kann zu einem perfekten Abend führen – und ganz daneben gehen, wenn da ein, zwei Leute dabei sind, die das Angebot nicht interessiert oder die meinen, dass ohnehin nur ihre Hausmarke gutes Bier hätte.
Wo kann man Dich in diesem Jahr treffen?
Heuer und in der ersten Jahreshälfte 2020 bin ich wieder an einem Fernsehprojekt dran, das wird mich nach Südamerika und in den Nahen Osten führen – zu Plätzen mit viel historischem Bierbezug. Und sicher drehen wir da auch ein bisschen was in Deutschland und Belgien. Aber jetzt muss ich los: Die nächste erste längere Reise in diesem Jahr geht nach Japan.
Was kommt als nächstes?
Ein gutes Bier, was sonst?
Ein wirklich tolles Interview mit Conrad Seidl und wir könnten uns noch mehr austauschen. Aber vielleicht klappt es mal bei einem Bierchen, wenn wir uns wiedermal zufällig auf einem Event treffen. Jedenfalls bedanken wir uns sehr bei Conrad und wünschen ihm ein tolles Jahr bis zum nächsten Biertreffen!